Category Archives: Allgemein

Christchurch 2015

Buch: Das metrische Wir (Steffen Mau, 2017)

“Zahlen lügen nicht” – so zumindest eine weit verbreitete Meinung. Aber: können Zahlen überhaupt sprechen? Und was sagen sie dann? Was passiert durch eine fortschreitende Quantifizierung unserer Gesellschaft und aller Teilbereiche des Lebens? Rankings und Ratings, Scorings und Screenings, Sterne und Punkte oder Balken und Kurven bestimmen nicht nur die Wirtschaft, sondern zunehmend das Zusammenleben aller Menschen in allen Teilen der Welt. Was macht das mit dem Sozialen? Was mit dem Zusammenhalt und was mit Gemeinschaft(en)? Fragen, denen sich Steffen Mau in “Das metrische Wir: Über die Quantifizierung des Sozialen” (suhrkamp, 2017) widmet. Wunsch nach Evidenz, Zahlen und Vergleichbarkeit auf der einen Seite – Wunsch nach Gemeinschaft, Gerechtigkeit und Zusammenhalt auf der anderen. Ein Spannungsfeld, dass das Buch spannend macht.

Der Titel führt eigentlich etwas in die Irre. Das metrische Wir zeigt sich am Ende als individuelles und quantifiziertes Ich, das sich nicht mehr als gleichberechtigter Teil einer Gemeinschaft definiert, sondern nur durch quantifizierte wertende Abgrenzung gegenüber anderen. Ohne Gesellschaft ist jedes Ich nichts. Aber das Ich wird nicht bedeutsam als Teil von etwas Größerem, das gemeinsame Sicherheit und Zufriedenheit bietet. Das Ich wird bedeutsam in quantifizierter Abgrenzung zu anderen. Am Ende droht die Gefahr, blind zu werden, für alles, was nicht quantifizierbar ist. Sicher ein Trend, den viele Planer*innen bestätigen können. Dazu lohnt sich der Blick durch das Buch von Steffen Mau.

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Weimar

Buch: Slow Travel – Die Kunst des Reisens (Dan Kieran, 2014)

Der Titel des Buchs von Dan Kieran macht deutlich: es geht um Reisen – und um ein Reisen, dass mehr ist als unterwegs sein. Das Buch Slow Travel ist 2012 in englischer Ausgabe und 2013/14 in deutscher Übersetzung erschienen. Ich habe kürzlich die deutsche Ausgabe gelesen, auf die ich mich hier beziehe. Ein “Loblied auf das Ungeplante, auf das Loslassen” (Tom Hodgkinson, im Vorwort) und eine Anregung zum bewussten Reisen. Auf den ersten Blick ein Buch ohne Bezug zur Raumplanung – auf den zweiten Blick allerdings auch Gedanken, die mitten hinein führen in aktuellen Stadt- und Planungsdiskussionen, Raumwahrnehmungen und Postwachstumsplanung.

Das Buch fordert in sieben Kapiteln zu einer anderen Art des Reisens auf – oder im Sinne Dan Kierans gesagt: zu einer Rückbesinnung auf den ursprünglichen Gedanken dahinter. Reisen bedeutet dann nicht eine Veränderung des Ortes, sondern auch Erfahrungen auf dem Weg und eine Veränderung in sich selbst. Zentrale Forderungen (Kapitel): Reise nicht nur, um anzukommen. Bleib zu Hause. Sei dein eigener Reiseführer. Heiße Katastrophen willkommen. Folge deinem Instinkt. Verliere den Kopf. Sei abenteuerlustig. Langsames Reisen ist hierbei relativ. Langsam genug, den Weg zu erleben. Schnell genug, andere Orte zu erreichen.

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Pakistanische LKW-Fahrer (Quelle: Weit GbR)

Film: WEIT. Die Geschichte von einem Weg um die Welt (2017)

Kurz nach Weihnachten habe ich den Film “WEIT. Die Geschichte von einem Weg um die Welt” gesehen, der bereits seit Juni 2017 vor allem in kleineren Kinos in Deutschland läuft und einen unerwartete großen Ansturm erlebt hat. Oder, wie die Webseite einleitet: “Staunend stehen wir da und beobachten, was für einen weiten Weg durch die Herzen der Menschen unsere Reisedoku „WEIT.“ sich gesucht hat und immer noch sucht. 330.000 Zuschauer und Zuschauerinnen haben den Film mittlerweile schon gesehen und ihn so zu der mit Abstand erfolgreichsten Kinodokumentation 2017 in Deutschland gemacht.”

Mit Raumplanung hat der Film nichts zu tun, und auch wenig mit Städten, gebauter Umwelt oder Infrastrukturen. Stattdessen stehen Menschen im Mittelpunkt – unter anderem die mehr als 600 Fahrer*nnen, von denen Gewendolin Weisser und Patrick Allgaier im Laufe von drei Jahren und 110 Tagen mitgenommen wurden. Und viele unberührte Landschaften, in denen das mitgenommene Zelt immer wieder seinen Platz findet. Ganz im Gegensatz zu Städten, denen der Film wenig Zeit widmet und die vielfach – deutlich ausgedrückt am Beispiel Indien – als zu hektisch und unübersichtlich erscheinen.

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Erfurt Nord

Buch: Die Macht der inneren Bilder (Gerald Hüther, 2004)

Gerald Hüther ist einer der derzeit in vielen Medien präsenten Neurobiologen, der sich intensiv mit der Entwicklung unseres Gehirns in allen Phasen des Lebens beschäftigt und bis in die Zeit vor der Geburt zurückgeht, um uns selbst einen Spiegel vorzuhalten. Sein Buch “Die Macht der inneren Bilder: Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern” ist in erster Auflage 2004 erschienen und seitdem vielfach neu aufgelegt.

Über das Buch bin ich im Juli gestolpert und fand es schon wegen seines Titels spannend. Grund genug, einen tieferen Blick hineinzuwerfen. Ein Interview zu Inhalten des Buchs und weiterer seiner Bücher, das BR alpha geführt hat, ist bei YouTube unter https://www.youtube.com/watch?v=8HhUOH3qGw0 erreichbar.

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Buch: Ich suchte das Glück und fand die Zufriedenheit (Hans-Otto Thomashoff, 2014)

Glück ist derzeit in vielen Büchern und Ratgebern allgegenwärtig. Meist ist es kurzfristig, mit bestimmten Erlebnissen und Ereignissen verbunden und nicht einfach reproduzierbar. Auch im IdeenLabor Postwachstumsgesellschaft fragen wir danach, was Menschen in einer Stadt glücklich macht – und nicht nur danach, was ihre (materiellen) Interessen sind. Was Glück genau ist, wie man es erreichen und erkennen (und möglicherweise vergleichen) kann, ist aber keine einfache Frage mehr.

Der Titel von Hans-Otto Thomashoff “Ich suchte das Glück und fand die Zufriedenheit: Eine spannende reise in die Welt von Gehirn und Psyche” legt nahe, dass er sich auf die Suche nach Glück macht und Erfahrungen schildert. Grund genug, einen Blick zu wagen und die Reise zu verfolgen. Zu Beginn wird klar: die Reise ist für Thomashoff bereits abgeschlossen. Im ersten Absatz schildert er “Nicht Glück macht glücklich, sondern Zufriedenheit. Zufriedenheit ist das eigentliche Glück” (S. 9, Hervorhebung im Original). Dementsprechend widmet er dann die acht Kapitel des Buches der Herleitung und Erklärung.

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Schnettkerbrücke Dortmund, 2017

Buch: Im Club der Zeitmillionäre (Greta Taubert, 2016)

Vor ein paar Wochen habe ich eher zufällig das Buch von Greta Taubert “Im Club der Zeitmillionäre: Wie ich mich auf die Suche nach einem anderen Reichtum machte” (Eichborn-Verlag, 2016) entdeckt. Klang spannend, und so habe ich es mir ohne viele Erwartungen bestellt. Eine Entscheidung, die ich nicht bereut habe. Gerade deshalb, weil das Buch keine klaren Ratschläge gibt, sondern viele Ein- und Überblicke. In 15 Kapiteln geht es zwischen dem Hamsterrad von Verwertungslogiken und entlang der wiederkehrenden Motive alternativer Ideen und vieler Begegnungen um die Frage, was den Kern beruflicher und persönlicher Existenz ausmacht.

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Unsicherheit in der räumlichen Planung

Alle sprechen davon – aber was ist überhaupt Unsicherheit in der räumlichen Planung? Einen guten Ausgangspunkt für eine gemeinsame Sprachregelung bietet die Management- und Organisationstheorie, aber auch Bestandteile aus der Komplexitätstheorie und der poststrukturalistischen Ansätze sind eine gute Grundlage. Diese Ansätze schauen verstärkt auf die Mikroebene und planerisches Handeln. So gibt es in der Management- und Organisationstheorie umfassendere und systematischere Ausarbeitungen zum Unsicherheitsbegriff und zum Handeln unter Unsicherheit (Hatch und Cunliffe 2006; Steinmann, Koch und Schreyögg 2013; Stacey und Mowles 2016). Wichtige Referenzwerke, auf die viele heutige Definitionen von Unsicherheit verweisen, stammen aus der Ökonomie (Knight 1921; Keynes 1997). Marktprozesse sind zu einem gewissen Grad immer unsicher, weil sich die ‚unsichtbare Hand des Marktes‘ nicht erfassen und erst Recht nicht planen lässt. Zwar ist für Planung in allen Ansätzen anerkannt, dass der Markt nicht alle Allokationsprobleme in einer Weise lösen kann, die einer gesamtgesellschaftlichen Vorstellung entspricht. Gleichzeitig ist aber auch erkennbar, dass sich Planungstheorie zunehmend mit Selbstorganisation (in komplexitätstheoretischen Ansätzen), mit dem Setzen allgemeiner Regeln (in kommunikativen sowie management- und organisationstheoretischen Ansätzen) oder mit einem selbstkritischen Bild (poststrukturalistische Ansätze) positioniert.

Hinweis: Der gesamte Text ist angepasst aus den Seiten 76-83 und 88-89 meiner Dissertation. Diese Seitenangaben entsprechen der 2016 veröffentlichten Druckfassung: Lamker, Christian W. (2016). Unsicherheit und Komplexität in Planungsprozessen: Planungstheoretische Perspektiven auf Regionalplanung und Klimaanpassung. Lemgo: Rohn.

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Phoenix-See

Aus Detroit ins Ruhrgebiet

Letzte Woche hatten wir an der TU Dortmund Besuch einer Gruppe 16 Studierender der Wayne State University aus Detroit. Unter der Überschrift “Urban Planning in a Global Context” standen im Ruhrgebiet und im Bergischen Land viele Besichtigungen und Diskussionen auf dem Plan.

Einen Schwerpunkt bildete die regionale Transformation der Region mit Industriekultur, IBA Emscher Park und Leuchttürmen wie dem Landschaftspark Duisburg, der Halde Hoheward, dem Westpark Bochum, dem Phoenix-See sowie der Zeche Zollverein. Zudem gehörte eine Besichtigung des ehemaligen Opel-Werksgeländes in Bochum-Laer dazu. Den zweiten Schwerpunkt bildete Migration und die Integration auf Quartiersebene in der postindustriellen Stadt. Dazu waren Besuche in Dortmund (Unionviertel, Nordstadt, Hörde/Phoenix-See), in Remscheid (Honsberg, Rosenhügel) und in Bochum (Laer, Westend, Stahlhausen) Teil des Programms.

Halde Hoheward

Halde Hoheward

Danke an alle Beteiligten für spannende Diskussionen und Vergleiche zwischen zwei sehr unterschiedlichen Regionen und Städten, die aber viele Gemeinsamkeiten teilen und noch mehr voneinander lernen können. Migration und Integration sind zudem besondere Themen für die (post-)industrielle Stadt, die in ihrer historischen Entwicklung durch starke Migrationsbewegungen von Geflüchteten und Arbeitern geprägt war und heute wieder Zielort für viele Menschen wird. Planerisch begleitet werden sollte das von innovativen und geteilten Ansätzen mit der Diversität der Bewohner/-innen. Aber auch im Wissen, dass ein enges Nebeneinander von Erfolgen und Misserfolgen geben wird und mit neuen Modellen des gemeinsamen Planens und (Er-)lebens von Quartieren, Städten und Stadtregionen experimentiert werden muss.

Glückliche Tage - Mach Quatsch! (Remscheid Honsberg)

Glückliche Tage – Mach Quatsch! (Remscheid Honsberg)

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Megatrend Digitalisierung

Klimawandel, Raumplanung und Megatrends

Der Klimawandel als einer der großen Megatrends der heutigen Zeit ist eine räumlich nicht beschränkte Herausforderung und wird die Entwicklung weltweit langfristig über Generationen hinweg beeinflussen. Das gilt für einzelne Menschen, aber auch für alle Ebenen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Das Ziel bleibt, trotz aller Unsicherheit und Komplexität planvoll in die Zukunft zu schauen und unaufhaltsame Veränderungen nicht passiv abzuwarten, sondern sie aktiv gestalten zu können. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich der Trend bestenfalls verlangsamen oder begrenzen lässt, er aber nicht umgekehrt werden kann.

Hier stellen sich zwei grundlegende Fragen:

  • Was bedeuten Megatrends überhaupt für die gesellschaftliche Entwicklung und räumliche Planungsprozesse?
  • Wie betten sich die Megatrends Klimawandel und Klimaanpassung in die planerische Diskussion ein?

Hinweis: Der gesamte Text ist angepasst aus den Seiten 1, 8-10, 131-133, 248, 288-289 und 333 meiner Dissertationsschrift. Diese Seitenangaben entsprechen der 2016 veröffentlichten DruckfassungLamker, Christian W. (2016). Unsicherheit und Komplexität in Planungsprozessen: Planungstheoretische Perspektiven auf Regionalplanung und Klimaanpassung. Lemgo: Rohn.

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Melbourne

Exchange between researchers and practitioners in urban planning

The question how planning research can be accessed and used as well as how collaboration between researchers and practitioners in urban planning works or can work is as important as ever – and potentially even more important given new and urgent global challenges. During my time as a Visiting Research Fellow of RMIT University, Centre for Urban Research, in Melbourne last year, I came across the work of Joe Hurley and Elizabeth Taylor in Australia (titled ‘Not a lot of people read that stuff’; see references below). We got to talk about their work and my work as a member in the working group ‘Mind the Gap – Cooperation and Self-Images in Spatial Planning‘ within the German Academy for Spatial Research and Planning (ARL). We saw both, large overlaps and striking differences.

Melbourne

Melbourne

The idea emerged to go deeper in comparing our work and to look across our different planning contexts. We developed a simple structure along the three challenges of access, use and collaboration to structure our thoughts. A first list of ideas was the starting point for discussions about a short article on our insights. As it happens, we ran across Libby Porter who is responsible for the Interface section of Planning Theory & Practice. The idea was born to go deeper into work and accept the challenge of inviting both, practitioners and researchers, to comment on our ideas and to join our work. We got Dominic Stead, Meike Hellmich/Linda Lange, Helen Rowe, Sonja Beeck, Peter Phibbs and Ann Forsyth to buy in into our joint challenge. Our aim was not only to talk about practice, but involve practitioners as authors within the Interface. The work began in May 2015 right before I left Melbourne. It continued to be a highly challenging endeavour for all of us involved. Luckily, we managed to keep the schedule and finish the work in April 2016. It took many loops of changes, of adjusting, of discussing and of mutual learning before completion. Finally, we added more ideas on an international perspective about the exchange between researchers and practitioners and an international practice. Ideas that emerged during our work.

And, now, our final piece is available in Planning Theory & Practice as Interface in Volume 3/2016:
http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14649357.2016.1190491

It was helpful for us to have a very simple framework that was actually the first idea and starting point we had: to focus along the three challenges of access, use and collaboration (roughly in accelerating order). Even these simple terms turned out to mean quite different things for all people involved. We did not go deeper into aspects of evaluating research outputs and impacts – there is a newly emerging discussion in Australia to encompass broader impacts in addition to traditional academic output. German planning research institutes also look for new ways of analysing their research impacts and its ‘use’ for society. The term transdisciplinary is ever-present, and important focus point for many discussion on future planning research. For us, there was a common interest of both, researchers and practitioners, to have at least some research done that looks beyond direct impacts in practice and questions actions and beliefs on a broader level. Distinguishing between research and investigation (as Ann Forsyth does in our Interface) might help to leave space for both, without confusing different roles of researchers.

It would be especially worthwhile to think about further ways to foster more international exchange in practice. There is still a lot of underused potential for engagement beyond a narrow or local approach. Social media platforms might be an important key for they are easily accessible, allow for exchanging preliminary ideas and support a fast exchange of knowledge across different contexts. A basis for this need to give special regard to differences in language, working cultures, technical and legal requirements as well as personal attitudes towards planning work of all those involved. I do personally think that many planners have too much fear (of politicians, of the public, of their managers etc.) to engage in open talks about really different options and ways of planning, so it would be good getting more ideas how to work with these practical realities.

Dortmund, Phoenix Lake

Dortmund, Phoenix Lake

It would be wonderful to take part in further discussions around the topic of research-practitioner exchange and in looking beyond national borders (towards a more international practice) and beyond traditional methods and vehicles (towards both more use of social media platforms and more routinized forums for exchange outside daily practice). There is still a lot to discover, to try and to learn.

Thanks to everyone involved during the year of work on this joint project that!

References

  • Hurley, J., & Taylor, E. J. (2015, March 9). ‘Not a lot of people read the stuff’: how planning defies good theory. The Conversation. Retrieved from https://theconversation.com/not-a-lot-of-people-read-the-stuff-how-planning-defies-good-theory-38234
  • Hurley, J., Lamker, C. W., Taylor, E. J., Stead, D., Hellmich, M., Lange, L., . . . Forsyth, A. (2016). Exchange between researchers and practitioners in urban planning: achievable objective or a bridge too far? Planning Theory & Practice, 17(3), 447–473. doi:10.1080/14649357.2016.1190491
  • Taylor, E. J., & Hurley, J. (2016). “Not a Lot of People Read the Stuff”: Australian Urban Research in Planning Practice. Urban Policy and Research, 34(2), 116–131. doi:10.1080/08111146.2014.994741