Vor ein paar Wochen habe ich eher zufällig das Buch von Greta Taubert “Im Club der Zeitmillionäre: Wie ich mich auf die Suche nach einem anderen Reichtum machte” (Eichborn-Verlag, 2016) entdeckt. Klang spannend, und so habe ich es mir ohne viele Erwartungen bestellt. Eine Entscheidung, die ich nicht bereut habe. Gerade deshalb, weil das Buch keine klaren Ratschläge gibt, sondern viele Ein- und Überblicke. In 15 Kapiteln geht es zwischen dem Hamsterrad von Verwertungslogiken und entlang der wiederkehrenden Motive alternativer Ideen und vieler Begegnungen um die Frage, was den Kern beruflicher und persönlicher Existenz ausmacht.
Das erste Drittel des Buchs schließt mit der Frage aus den ersten Begegnungen “Warum darf man die Ressourcen der Welt verschwenden, aber nicht sich selbst?”. Darf man einfach ‘Nichts’ tun? Geht das überhaupt? Die folgenden Kapitel liefern dann viele Einblicke darauf, was ein ‘In-der-Welt-Sein’ bedeuten kann abseits ökonomischer Bewertungskriterien. Aus ständiger Beschleunigung, sinnlosen Terminen und immer schnelleren Verpflichtungen heraus entschließt sie sich, ein Jahr lang einfach Zeit zu haben – und zu erleben, was das bedeutet, wenn der Moment zählt, wenn es nicht um den ‘rasenden Stillstand’ (nach Paul Virilio, S. 13) geht. Sondern wenn der Moment zählt, die Lust und auch das ‘Nein-Sagen’. Und wenn – am Beispiel Kaffee – der Herstellungsprozess ebenso wichtig wird wie das Ergebnis (S. 68). Die Coffee to Go-Kultur zeigt für sie dann auch deutlich, dass etwas nicht stimmen kann. Wenn man für Kaffee keine Zeit mehr braucht, wenn man nicht einfach nur einen Kaffee trinken kann, wenn man immer etwas Anderes dabei tun muss, etwas erreichen muss.
In den Begegnungen im Laufe des Buchs werden die aktuellen Diskussionen um alternative Wohlstandsmodelle, Postwachstumsgesellschaft und Entschleunigung beleuchtet und mit ihren Hintergründen erläutert. Von Grundeinkommen, solidarischer Landwirtschaft, Commons, Kommunen, Gemeinwohl-Ökonomie und zwischen guten und schlechten Gefühlen beim ‘Nichts-Tun’ bewegt sich das Buch rund um das Zwischenfazit, dass es vielleicht doch das Beste ist, “[i]m Fluss [zu] sein, zwischen Aktion und Relaxation [zu] wechseln” (S. 95) und wie Widersprüche des Lebens zu akzeptieren. So gibt sie auch keine belehrende Antwort darauf, was Zeitwohlstand bedeuten muss oder wie das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit sein sollte. Im Gegenteil ist sie offen für unterschiedliche Bedeutungen von Arbeit als Belastung, als Erfüllung, als Fluss von Ideen.
Sie betrachtet Ideen wie Tradeschools, Tauschringe, Refugien aus der Lebensreform-Bewegung – und stellt dabei auch immer wieder fest, dass keine Alternative dauerhaft ist. Scheitern geht zum Experiment mit Alternativen, ist nichts Negatives, sondern mehr Ausdruck von Freiheit sagt sie mit Blick auf Zeitpioniere und alternative Produktions- und Organisationsmodelle.
Das Buch ist damit auch eindeutig kein Ratgeber. Und so wendet sich Greta Taubert zum Ende hin auch gegen den Kampf (S. 211) und in ihren letzten beiden Kapiteln für das Spiel. Ankommen in der Lebendigkeit bedeutet für sie dann auch, die Erkundung einer Stadt als Experiment zu sehen und als Spiel zu gestalten. Wenn jeder sein ‘Leben als Kunstwerk’ (S. 214) betrachtet, sind Dérive und Driften lustvolle Varianten, Stadt zu erleben. Mit einem Würfel erkundet sie dann auch Zürich und stellt fest, dass sie auch ohne zu suchen viel findet – und: “Das Glück ist dort, wo wir uns Zeit nehmen, es zu finden” (S. 218). So kommt sie dann auch in den letzten beiden Kapiteln sehr nah zur Stadtforschung (und Stadtplanung) mit ihren aktuellen Herausforderungen aus einer Perspektive des Zeitwohlstands. Dichte von Stadt und ihre Besonderheiten werden für sie erst erkennbar, wenn man sie offen und spielend erlebt.
Dabei setzt sich Greta Taubert kritisch mit vielen aktuellen Begriffen auseinander und spricht sich klar gegen Kampf und Revolution und für individuelle Perspektiven aus. Ob Zeitwohlstand tatsächlich ein passender Begriff ist, lässt sie ebenso offen wie sie Zweifel an ihrem Titel “Club der Zeitmillionäre” anmeldet. “Wenn im Moment das gute Leben kondensiert wird, wenn im Moment das Glück wohnt, wenn der Moment der Reichtum ist – wieso sollte ich dann jetzt zurückschauen” schreibt sie kurz vor dem Ende ihres Buchs (S. 232). Kann man Grundlegendes verändern und trotzdem jeden Moment genießen? Sie ist zwar für ein bedingungsloses Grundeinkommen, erlebt aber auch viele Hürden und Schwierigkeiten und nährt Zweifel an dieser Idee als Allheilmittel. “Leben ist live” (S. 229) stellt sie selbst fest – und in einer ‘Multioptionsgesellschaft’ damit schwer für alle gleich zu fassen (S. 231). Am Ende eröffnet sie die Spiele, denn: “Im Spiel war alles möglich. Im Spiel sind wir alle gleich frei und reich” (S. 234). Es geht also nicht darum, das System zu verändern. Sondern durch andere Denkweisen und Spiel sich selbst und die eigene Perspektive – und in den eigenen Handlungen mit Veränderungen zu beginnen. Die “Geschichte vom Zeitwohlstandswunder […] lässt sich in jedem Moment beginnen” (S. 235).
Die Stärke des Buchs ist damit auch Grundlage für eine Kritik. Das Buch liefert den ausführlichen Bericht einer Reise über den Verlauf eines Jahres mit vielen Ideen, hinterlässt aber mindestens so viele neue Fragen. Und es kritisiert wenig in die Tiefe, diskutiert wenig tiefere Zweifel an den vorgestellten Ideen und kondensiert auch keine Alternativen heraus. Wer finanziert ein Grundeinkommen? Wie werden die Ideen in ihrer Umgebung wahrgenommen? Fragen, die man sich in tiefer gehenden wissenschaftlichen Auseinandersetzungen vorstellen kann, die bei ihr aber nur journalistisch angerissen werden. Das Buch erhebt aber auch zu keinem Zeitpunkt den Anspruch darauf. So ist es auch der eigene Anspruch: “Und eigentlich möchte ich meine freigewordene Zeit nicht mit Minusvisionen verbringen, sondern mit der Suche nach neuen Pluspunkten” (S. 32). So schreibt sie aufgeschlossen und mit positiver Einstellung zu allen Ideen, entdeckt aber in allen Beispielen auch Unzulänglichkeiten und ihre eigenen Zweifel.
Ihre Erfahrungen sollen jeden einzelnen zum Nachdenken bringen. Dadurch wirken die Kapitel teilweise auch unabhängig voneinander und es gibt Wechsel zu sehr unterschiedlichen Themen. Dementsprechend erfrischend zu lesen ist das Buch für jemanden, der (wie ich) nicht bereits mit allen Größen der Szene tief vertraut ist, der noch auf der Suche nach einer klaren Meinung ist und der selbst viele Fragen an das Thema hat. Das Buch bietet auf jeden Fall Ideen dafür, auch Fragen an Stadt- und Raumplanung zu stellen – nicht zuletzt durch die abschließenden Kapitel und ein über das Recht auf das Stadt hinaus erweitertes Fazit “Die Stadt und die Zeit, sie gehören uns” (S. 234, eigene Hervorhebung).
Buch:
Greta Taubert (2016): Im Club der Zeitmillionäre: Wie ich mich auf die Suche nach einem anderen Reichtum machte. Eichborn-Verlag.
Ich habe just gestern begonnen, “Arbeitsfrei” von Constanze Kurz und Frank Rieger zu lesen und mich beschäftigt der Gedanke, dass zwischen dem Konzept “Selbstwert” und dem Umgang mit der begrenzten Ressource Lebenszeit in der Tat mindestens ein Paradoxon, wenn nicht gar ein handfester Widerspruch besteht. Interessante Leseempfehlung.