To question or not to question, that's the question... (Dortmund)

Planung als Management von Komplexität (2013)

Viele Planer*innen sprechen über Probleme mit Komplexität, einer gestiegenen Komplexität der Welt oder dem Wunsch danach, viel Komplexität reduzieren zu können. Dabei bleibt häufig offen, was Komplexität überhaupt ist, was konkret damit verbunden ist und was damit für ein Planungsverständnis impliziert ist. Grundlegende Fragen, die mich schon lange beschäftigen und sich auch durch meine Dissertation (2016) ziehen.

Bereits 2012/13 habe ich einen kurzen Abschnitt für einen Artikel verfasst, der bis heute unveröffentlicht geblieben ist. Der Teil sollte Anknüpfungen in Richtung Klimaanpassung bieten. Ich würde einige Sätze heute anders schreiben, setze aber meine damalige Perspektive im Folgenden unverändert hinein (unveränderter Stand vom 31.07.2013). Ein Teil der Ideen beschäftigt mich bis heute: systemischer und systemtheoretischer Ansatz, Unmöglichkeit von Unsicherheitsverlagerung statt -reduktion, inklusive Prozesse und deren Regeln, positive Perspektive auf Möglichkeiten zur Veränderung (auch) durch kleinteilige Handlungen. Ein paar Begriffe haben sich ergänzt oder verstärkt: Rollenverständnisse, Erklärungsansätze (z.B. Emotionen, tief liegende Muster, Zeit), Postwachstumsplanung.

Die Planungstheorie nimmt immer wieder Anleihen aus der Managementforschung und überträgt diese auf Prozesse räumlicher Planung, allerdings vielfach in einem engen Verständnis in Form eines inkrementellen Vorgehens, als instrumentelles Handeln oder als Umsetzungsinstrument (Krüger 2013: 15.). Es gibt aber auch darüber hinausgehende Versuche, Planung stärker aus der Perspektive des Managements zu sehen und Planung als sozialen Prozess des Unsicherheitsmanagements zu definieren (Abbott 2012: 571). Planung kann dabei Einfluss auf die räumliche Entwicklung nehmen, kann Regeln setzen und verändern sowie Entwicklungen fördern oder verhindern – vollständig planen und festlegen kann sie die Raumentwicklung aber nicht.

The world is result of continuous change, not of planners.“ (de Roo 2012)[1]

Unsere räumliche Struktur ist also das Ergebnis kontinuierlichen Wandels – beeinflusst, aber nicht determiniert durch Planung. Daran anschließend kann Planung als Management von Komplexität verstanden werden, da hiermit die Realität in komplexen adaptiven Systemen – in denen Planung arbeitet – besser erfasst werden kann. Komplexe adaptive Systeme bestehen aus Akteuren (durch Netzwerke verbunden) und ihren Interaktionen (dem Austausch von Informationen) und zeichnen sich durch Non-Linearität, systemisches Verhalten, Robustheit und Adaption aus (Innes und Booher 2010: 32). ‚Komplex‘ bedeutet also bewusst mehr als ‚kompliziert‘, was eher als Begriff zur Beschreibung von Problemen und Unsicherheiten in einem technisch-rationalen Planungsverständnis geeignet ist. Komplizierte Situationen lassen sich potenziell abschließend beschreiben und auflösen. ‚Komplexe‘ Situationen können per Definition nicht im Sinne eines linearen und eindeutigen Planungsverständnisses behandelt werden.

Der Begriff legt den Fokus auf einen systemischen Ansatz statt auf einzelne Komponenten und zugleich auf hohe Adaptivität und Kreativität in einer Welt, die sich ständig verändert – oder gar als krisenbehaftet angesehen wird (Innes und Booher 2010: 39). Jede planerische Handlung ist dabei zugleich eine Reaktion zur Reduzierung bestehender Unsicherheiten wie auch die Ursache neuer Unsicherheiten. Es entsteht eine komplexe Situation vielfältiger und nicht ‚sicher‘ vorhersagbarer Wechselwirkungen (vgl. Abbott 2005: 237–251). Ein elementarer Begriff in diesem Kontext ist Emergenz, d. h. „das Entstehen neuer Qualitäten in komplexen Systemen“ (Wiechmann und Hutter 2008: 105), die sich zunächst in den Entscheidungsmustern von Akteuren erkennen lassen und oft auch erst im Nachhinein identifiziert werden können (Wiechmann 2008: 247). Einfache Elemente unter einfachen Regeln können dauerhafte oder systemische Muster produzieren, die sich deutlich von den Ausgangselementen unterscheiden (Innes und Booher 1999: 417).

Mit Bezug auf den Klimawandel vermuten Davoudi, Crawford und Mehmood (2009: 14): „Today the recognition of complexity, uncertainty as well as irreversibility changes the nature and framing of whole spatial planning“. Ein einfaches ‚Weiter so‘ ist also schwer zu rechtfertigen und bedarf mindestens eines Fragezeichens und einer kritischen Prüfung. Die bestehenden Gesetze und formalen Instrumente der Raumordnung werden vielfach als grundsätzlich ausreichend angesehen (Fröhlich et al. 2011: 26; Institut Raum & Energie 2011: 9; MKRO 2013: 39) – dementsprechend sind Veränderungen insbesondere in den Prozessen und der Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens und der Anwendung bzw. des Mixes der verfügbaren Instrumente zu suchen. Und demenentsprechend sind vorhandene Instrumente wie die Landesentwicklungspläne auch aufgefordert, diesen neuen Anforderungen Rechnung zu tragen.

Für die Planung kann sich laut Abbott (2005: 249) die zunächst paradox erscheinende Schlussfolgerung ergeben, dass der erste Schritt im Planungsprozess einer ist, der sogar absichtsvoll die Unsicherheit erhöht. Nämlich in dem er sich eine Reihe von tatsächlich unterschiedlichen Zukünften und politischen Linien vorstellt und diese erst im Anschluss durch u. a. Kommunikation, Analyse, Beteiligung und Verständigung reduziert. Das soll dem Ziel dienen, statt der ‚sicheren‘ Zukunft eine ‚bessere‘ Zukunft zu wählen – und die Herausforderung für Planung liegt genau in diesem Spannungsfeld (Abbott 2009: 515). Gebraucht werden dazu Räume (Arenen) für den transparenten, inklusiven und demokratischen Austausch über vorhergesehene Möglichkeiten und ein Denken, das über den Plan hinaus wirkmächtige Vorstellungen und Assoziationen erzeugen (Balducci et al. 2011: 491). Ein Plan für eine mittlere bis lange Zeitspanne muss dementsprechend nicht fixe Endzustände definieren, sondern aus der Zielrichtung (‚trajectory‘, wörtlich: Flugbahn) heraus diejenigen Hebel und Ansatzpunkte definieren, die hierfür erforderlich sind (Hillier 2010: 466; Balducci et al. 2011: 492; Wilkinson 2011: 607).

Unter die Oberfläche blicken

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Im Sinne eines managementorientierten Verständnisses ist es hier die Aufgabe von Planung, nicht alles abschließend zu planen, sondern genau an diesen Hebeln anzusetzen, diese auszugestalten und sie so zu begleiten, dass ihre Auswirkungen langfristig in die gewünschte Zielrichtung zeigen. Dabei ist aber diese Zielrichtung zwingend erforderlich, das Vorgehen muss aber einem adaptiven Ansatz folgen. Trotzdem darf Planung nicht in ein zufälliges oder rein inkrementelles Verhalten verfallen. Wenn Planung in komplexen adaptiven Systemen operiert, bedeutet es, dass „a small shift in one thing can produce big changes in everything“ (Meadows 1999: 1). Planung braucht also gar nicht zwanghaft nach den ‚großen Lösungen‘ zu suchen, sondern muss flexibel, adaptiv und zielgerichtet die ‚kleinen und großen Hebel‘ finden.

Formelle Instrumente und Planwerke müssen also dahingehend überprüft werden, ob sie – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – eine handlungsleitende Zielrichtung erkennen lassen und ob die vorgesehenen Festlegungen und Verfahrensvorschriften geeignete Hebel darstellen können. Am wirkmächtigsten sind diejenigen Hebel, die Paradigmen überschreiten können oder die Ziele eines Systems ändern können (Meadows 1999: 3). Gleichzeitig ist dies aber auch im Rahmen eines formellen Instruments, das vorgeschriebenen Verfahren folgt und Rechtssicherheit bieten soll der am schwierigsten zu anzusetzende Hebel. ‚Einfacher‘ (und im obigen Verständnis ‚sicherer‘) sind da oft materielle Hebel wie Zahlen, Strukturen oder Abläufe (Meadows 1999: 5–9). Die spezielle Herausforderung liegt hierbei darin, potenzielle Wirkungen bereits ex ante zu diskutieren und die effizientesten Hebel zu nutzen.

Literatur

Abbott, John (2005). Understanding and Managing the Unknown: The Nature of Uncertainty in Planning. Journal of Planning Education and Research, 24(3): 237–251. doi: 10.1177/0739456X04267710.

Abbott, John (2009). Planning for Complex Metropolitan Regions: A Better Future or a More Certain One? Journal of Planning Education and Research, 28(4): 503–517. doi: 10.1177/0739456X08330976.

Abbott, John (2012). Planning as Managing Uncertainty: Making the 1996 Livable Region Strategic Plan for Greater Vancouver. Planning Practice and Research, 27(5): 571–593. doi: 10.1080/02697459.2012.701788.

Balducci, Alessandro; Boelens, Luuk; Hillier, Jean; Nyseth, Torill & Wilkinson, Cathy (2011). Introduction: Strategic spatial planning in uncertainty: theory and exploratory practice. Town Planning Review, 82(5): 481–501. doi: 10.3828/tpr.2011.29.

Davoudi, Simin; Crawford, Jenny & Mehmood, Abid (2009). Climate Change and Spatial Planning Responses. In S. Davoudi, J. Crawford, & A. Mehmood (Hrsg.), Planning for climate change: Strategies for mitigation and adaptation for spatial planners (S. 7–18). London, Sterling, VA: Earthscan.

Fröhlich, Jannes; Knieling, Jörg; Schaerffer, Mareike & Zimmermann, Thomas (2011). Instrumente der regionalen Raumordnung und Raumentwicklung zur Anpassung an den Klimawandel (neopolis working papers: urban and regional studies 10). Hamburg. http://www.klimzug.de/_media/neopolis_working_paper_no_10-1.pdf. Zugegriffen: 19. November 2011.

Hillier, Jean (2010). Strategic Navigation in an Ocean of Theoretical and Practice Complexity. In J. Hillier & P. Healey (Hrsg.), The Ashgate research companion to planning theory: Conceptual challenges for spatial planning (S. 447–480). Farnham, Surrey: Ashgate.

Innes, Judith E. & Booher, David E. (1999). Consensus Building and Complex Adaptive Systems. Journal of the American Planning Association, 65(4): 412–423. doi: 10.1080/01944369908976071.

Innes, Judith E. & Booher, David E. (2010). Planning with complexity: An introduction to collaborative rationality for public policy. Abingdon, New York: Routledge.

Institut Raum & Energie (2011). MORO „Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel“: Thesenpapier: Bilanzworkshop am 7. Juni 2011. Hamburg. http://www.klimamoro.de/fileadmin/Dateien/Ver%C3%B6ffentlichungen/KlimaMORO_Thesenpapier_inkl_Ergebnisse_Bilanzworkshop.pdf. Zugegriffen: 19. November 2011.

Krüger, Thomas (2013). Alles Management? Fortgesetzte Anregungen aus der Managementforschung für die Planungstheorie. RaumPlanung(167): 14–19.

Meadows, Donnella H. (1999). Leverage Points: Places to Intervene in a System. Hartland, VT. http://www.sustainer.org/pubs/Leverage_Points.pdf. Zugegriffen: 4. Januar 2013.

MKRO, Ministerkonferenz für Raumordnung (2013). Raumordnung und Klimawandel: Handlungskonzept der Raumordnung zu Vermeidungs-, Minderungs- und Anpassungsstrategien in Hinblick auf die räumlichen Konsequenzen des Klimawandels vom 23.01.2013. Umlaufbeschluss vom 06.02.2013. Berlin. http://www.bmvbs.de/cae/servlet/contentblob/108242/publicationFile/74294/mkro-handlungskonzept-klima.pdf. Zugegriffen: 24. Juli 2013.

Wiechmann, Thorsten (2008). Planung und Adaption: Strategieentwicklung in Regionen, Organisationen und Netzwerken. Habilitation, Dresden 2007. Dortmund: Rohn.

Wiechmann, Thorsten & Hutter, Gérard (2008). Die Planung des Unplanbaren: Was kann die Raumplanung von der Strategieforschung lernen? In A. Hamedinger, A. Breitfuss, J.S. Dangschat, & O. Frey (Hrsg.), Strategieorientierte Planung im kooperativen Staat (S. 102–121). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH.

Wilkinson, Cathy (2011). Strategic navigation: in search of an adaptable mode of strategic spatial planning practice. Town Planning Review, 82(5): 595–613. doi: 10.3828/tpr.2011.34.

[1] Zitat aus der Einführungsrede zum Key Note-Vortrag von Judith Innes auf dem 10. Treffen der AESOP Thematic Group on Complexity & Planning am 19.11.2012 an der Universität Groningen.

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